Wednesday, September 29, 2010

"Kumpels in Kutten" zweiter Teil des Berichts - die Szene an sich


Kumpels in Kutten II

"Man sieht wieder Fünftklässler 

in Blind Guardian-Shirts"

Freitag, 24. September 2010 22:12


Hier ist er schon: Der zweite Teil unseres Interviews mit den Herausgebern Christian Krumm (li) und Holger Schmenk (re) des Bandes "Kumpels in Kutten. Heavy Metal im Ruhrgebiet". Im ersten Teil des Gesprächs ging es um das Buch, in diesem zweiten Teil um die Szene an sich. Am Wochenende erscheint der dritte Teil über Metal und die Kulturhauptstadt.

Eure Ausgangsfrage war ja, warum der Metal im Ruhrgebiet hier so groß geworden ist
Seid ihr denn jetzt schlauer geworden?

Christian: Das habe ich versucht im zweiten Kapitel darzustellen. Auf der einen Seite sind es immer die Initiativen Einzelner. Und die Menschen hier waren einfach so fasziniert von Heavy Metal. Günstig war sicherlich auch die Nähe zu den Niederlanden, wo es bereits Anfang der 80er eine gut entwickelte Szene gab. Ein anderer Punkt ist sicherlich der Radiosender BFBS, der hier lief und einmal die Woche vier, fünf Stunden nur Metal spielte. Auf der anderen Seite gab es mit der Grugahalle, der Westfalenhalle oder Philipshalle geeignete Orte, an denen bekannte Bands auftreten konnten. Wenn man irgendwo in einem bayerischen Dorf wohnte, konnte man live einfach nichts sehen. Und irgendwie ist es sicher auch so, dass die Musik einfach zu den Menschen in der Region passt.

Holger: Außerdem entstanden in den stillgelegten Hallen Jugendzentren und Proberäume, wie in der Zeche Carl oder der der Zeche Bochum. Für Manni Schmidt, der Ende der 80er Jahre ins Ruhrgebiet zog, um bei Rage einzusteigen, war die Zeche Bochum schon ein legendärer Ort, weil dort schon so viele bekannte Bands gespielt hatten. Durch die dichte Besiedlung im Ruhrgebiet und die gute Erreichbarkeit der einzelnen Städte konnte sich Heavy Metal als Jugendkultur natürlich schnell aufbauen. Götz Kühnemund, der Chefredakteur vom Rock Hard Magazin, erzählte das sehr schön: Wenn man Anfang der 80er Jahre jemanden mit einer Kutte auf der Straße sah, rannte man sofort auf ihn zu. Wir möchten aber mal einer Legende entgegenwirken, nämlich dass Heavy Metal nur in den Regionen entstehen würde, wo die Jugendlichen keine Perspektiven haben. Das ist totaler Blödsinn. Die meisten der heutigen Profimusiker hatten Anfang der 80er das Angebot eine Lehre anzufangen. Aber sie wollten nicht die Berufe ihrer Väter im Bergbau oder Stahlwerk ausüben.

Ich hatte vor kurzem ein Interview mit Hansi Kürsch von Blind Guardian, die ja eher vom Niederrhein kommen und wir hatten dann darüber gesprochen, ob es überhaupt die eine Metal-Szene aus dem Ruhrgebiet so gibt. Und er hat das eher als Rhein-Ruhr-Szene gesehen.

Christian: Mit ihm haben wir ja auch schon gesprochen und er ist 2010 sicher schön öfter danach gefragt worden und hält jetzt seine Niederrhein-Fahne hoch (lachend).

Holger: Im Grunde kann man heute gar nicht mehr von einer regionalen Szene sprechen, das hat sich zu einer internationalen Szene entwickelt. In den frühen 80ern gab's eine Ruhrgebiets-Szene, eine Velberter Szene und vielleicht noch eine kleine am Niederrhein.

Christian: Blind Guardian profitierten von der Ruhrpott-Szene. Ihr erstes Label hatte seinen Sitz in Gelsenkirchen, das war No Remorse. Ich denke in Krefeld hätten Blind Guardian, so gut sie auch sind, keinen Fuß auf den Boden bekommen. Ich komme aus Krefeld und weiß wovon ich rede. Gute Musik allein reicht leider nicht. Man muss auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Mag sein, dass Hansi Kürsch inzwischen sagt "jetzt ist auch mal gut mit euerm Ruhrgebiet", aber Fakt ist, dass es in den 80ern in Krefeld keine große Metal-Szene gab.

War man sich in den 80ern über diese besondere Szene und Situation vor Ort bewusst ist?

Holger: Das würde ich schon sagen. Damals war man sich bewusst darüber, dass der Ruhrpott das Zentrum der deutschen Metal-Szene war. Götz Kühnemund zum Beispiel war sich sehr sicher. Interessant ist, dass viele Fans heute gar nicht mehr wissen, welche Bands, die seit 20, 30 Jahren dabei sind, hierher kommen. Wir haben das mehrmals erlebt, dass bei Interviews Leute sagten "Ach Grave Digger kommen aus Gladbeck? Das wusste ich gar nicht."

Christian: Ich glaube, dass es nicht mehr so wichtig ist, dass es eine regionale Szene gibt. Man ist zwar stolz, wenn eine große Band hier aus der Gegend kommt, aber das ist nicht ausschlaggebend. Es ist wichtiger, an der Musik teilzuhaben.

Wächst die Szene denn überhaupt noch nach?

Holger: Ich hab 1996 angefangen Metal zu hören, da gab es kaum Nachwuchs, wenn man den New Metal außer Acht lässt. Auf den Konzerten waren vor allem viele ältere Fans. Das hat sich in den letzten Jahren ganz deutlich verändert. Inzwischen sieht man wieder Fünftklässler in Blind Guardian Shirts. Die Szene ist sehr gesund. Neue Stilrichtungen wie Viking oder Pagan Metal geben neue Impulse, Thrash ist auch wieder populärer. Das einzige Problem sehe ich in den sinkenden Plattenverkäufen.

Wie ist denn in den 90ern dann überhaupt zu dieser "Krise" gekommen?

Holger: Von einer Krise sollte man gar nicht unbedingt pauschal sprechen, sondern eine genauere Unterscheidung vornehmen. Viele der "klassischen“ Metal-Bands haben eine Art Krise durchlebt, es wuchsen außerdem kaum neue Bands nach. Heavy Metal war etwas altbacken Ende der 90er. Stattdessen kamen dann neue Sachen wie Nu Metal. Hinzu kam bei manchen Musikern eine gewisse Orientierungslosigkeit. Mille von Kreator hat seine Empfindungen ganz schön wiedergegeben. Er begann als Dreizehnjähriger Thrash-Metal zu spielen. In den 90ern hatte er irgendwann einfach keine Lust, immer das gleiche zu machen und probierte zeitweise einige experimentelle Dinge aus.

Kreator sind dann aber ja gerade auch mit der letzten Platte zurück zum Thrash gekommen...

Holger:
Und das ist auch gut so! Kreator spielen Thrash ganz bestimmt wieder gerne. Es gibt wohl sowieso niemanden im Ruhrpott-Metal, der eine bestimmte Musik spielt, nur um damit Geld zu verdienen. Jeder Musiker lebt diese Musik.

Christian: Man darf ja auch nicht vergessen, dass vor der so genannten Krise eine große Boomphase war. Metal hat sich in immer neue Stilrichtungen und Varianten aufgespalten. Auf einmal war jemand, der Bon Jovi mochte, genauso Metal wie jemand, der Unleashed verehrte. Dabei ist wohl das verbindende Element etwas verloren gegangen.

Buchpräsentation:
2.10. Helvete, Oberhausen (mit Konzerten von Capital Joke (Livepremiere, neue Band von Manni Schmidt, ex-Rage/ex-Grave Digger), Path Of Golconda, Scanner, Depredation


Foto: Jörg Litges www.lautundinfarbe.de

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